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Gemeinde mietet Flüchtlingsunterkunft: Kein Wohnraum

Gemeinde mietet Flüchtlingsunterkunft: Kein Wohnraum

Fluechtlingsunterkunft Wohnraum Mietrecht BGH
Zuletzt aktualisiert am 08.08.2022

Ein Mietvertrag, den eine Gemeinde abgeschlossen hat, um in dem Mietobjekt ihr zugewiesene Flüchtlinge unterbringen zu können, ist unbeschadet seiner Bezeichnung kein Wohnraummietvertrag. Das hat der Bundesgerichtshof mit Urteil vom 23.10.2019 (Az. XII ZR 125/18) entschieden.

Nach Ansicht des Gerichts ist auch eine in einem solchen Vertrag enthaltene formularmäßige Klausel, mit der für beide Mietvertragsparteien das Recht zur ordentlichen Kündigung für die Dauer von 60 Monaten ausgeschlossen wird, nicht wegen unangemessener Benachteiligung des Mieters unwirksam.

Allgemeines Mietverhältnis

Bei dem vereinbarten Mietvertrag handele es sich nicht um ein Wohnraummietverhältnis im Sinne des § 549 Abs. 1 BGB, sondern um ein allgemeines Mietverhältnis gemäß § 535 BGB.

Das hier zur Beurteilung stehende Vertragsformular sei zwar als „Mietvertrag über Wohnräume“ überschrieben und verschiedene Bestimmungen des Mietvertrags legten nahe, dass die Parteien das Mietverhältnis den Regelungen über die Wohnraummiete unterstellen wollten. Bei der Entscheidung der Frage, ob ein Mietverhältnis über Wohnraum vorliege, sei jedoch auf den Zweck abzustellen, den der Mieter mit der Anmietung des Mietobjekts vertragsgemäß verfolge.

Wohnraummiete liege vor, wenn die Räume dem Mieter vertragsgemäß zur Befriedigung seiner eigenen Wohnbedürfnisse und/oder der Wohnbedürfnisse seiner Familie dienen sollen. Erfolge die Vermietung zu Zwecken, die keinen unmittelbaren Wohnraumcharakter haben, sei hingegen allgemeines Mietrecht maßgebend.

Die Gemeinde habe die Immobilie angemietet, um dort den Wohnbedarf der ihr zugewiesenen Flüchtlinge decken zu können. Der Zweck der Anmietung sei deshalb nicht darauf gerichtet, selbst die Räume zu Wohnzwecken zu nutzen, zumal eine juristische Person keinen eigenen Wohnbedarf haben könne. Der vertragsgemäße Gebrauch der Gemeinde beziehe sich vielmehr darauf, die angemieteten Räumlichkeiten zugewiesenen Flüchtlingen zu Wohnzwecken überlassen zu dürfen.

Langer Kündigungsausschluss

Liege demnach kein Wohnraummietverhältnis vor, werde die Gemeinde durch den vereinbarten Kündigungsausschluss auf die Dauer von 60 Monaten auch nicht nach den Vorschriften über die Kontrolle von Allgemeinen Geschäftsbedingungen unangemessen benachteiligt. Die Höchstgrenze von vier Jahren aus dem Wohnraummietrecht gelte hier nicht.

Keine fristlose Kündigung

Die Gemeinde konnte auch aufgrund des starken Rückgangs der Flüchtlingszahlen das Mietverhältnis nicht außerordentlich kündigen. Etwaige gemeinsame Vorstellungen der Parteien über die zukünftige Nutzung des Mietobjekts reichten ebenso wenig wie die Erwartung der Gemeinde hinsichtlich der Anzahl von unterzubringenden Flüchtlingen aus, um abweichend vom gesetzlichen Leitbild des Mietvertrags, eine Verlagerung des Verwendungsrisikos auf den Vermieter zu rechtfertigen.

Auch dem Vertragsinhalt seien keine tragfähigen Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, dass die Parteien eine Verlagerung des Verwendungsrisikos von der Mieter auf die Vermieterseite vereinbaren wollten. Hätten die Vertragsparteien die Bindungswirkung des Vertrags vom tatsächlichen Bedarf der Gemeinde an Wohnraum für zugewiesene Flüchtlinge abhängig machen wollen, hätte es nahegelegen, durch eine entsprechende Vertragsgestaltung hierfür Vorsorge zu treffen.

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